OGH 5Ob218/19y

OGH5Ob218/19y20.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. W*, 2. C*, vertreten durch Dr. Markus Singer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner 1. Dr. R*, 2. M*, vertreten durch Dr. Hanns Christian Baldinger, Rechtsanwalt in Wien, und 3. bis 7. die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * KG *, wegen § 52 Abs 1 Z 2 iVm § 16 Abs 2 WEG, über den Revisionsrekurs der Antragsgegner gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 8. Oktober 2019, GZ 39 R 180/19p‑24, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127911

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Der Änderungsbegriff des § 16 Abs 2 WEG 2002 ist weit auszulegen und umfasst auch Änderungen an allgemeinen Teilen der Liegenschaft, soweit diese einer vorteilhafteren Nutzung des Wohnungseigentumsobjekts dienlich sind; dies gilt selbst dann, wenn davon ausschließlich allgemeine Teile der Liegenschaft betroffen sind (5 Ob 213/04s; RIS-Justiz RS0083108 [T1]).

1.2 Die Zulässigkeit einer Änderung im Sinn des § 16 Abs 2 WEG lässt sich nicht grundsätzlich bejahen oder verneinen. Es kommt dabei vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind (RS0083309; vgl auch RS0109643). Dabei ist den Vorinstanzen ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt (5 Ob 39/15v; 5 Ob 212/15k). Nur bei einer groben, die Rechtssicherheit in Frage stellenden Fehlbeurteilung hätte der Oberste Gerichtshof korrigierend einzugreifen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor:

2.1 Gegenstand des Verfahrens ist die Genehmigung der Errichtung eines Behindertenlifts (Treppenlift) im allgemeinen Stiegenhaus des Hauses, der auf Kosten der Antragsteller eingebaut und betrieben werden und der Zweitantragstellerin, die unter schwerer Osteoporose leidet und massiv gehbehindert ist, das selbständige Verlassen ihrer im 2. Stock gelegenen Wohnung ermöglichen soll. Dass die Vorinstanzen diese geplante Maßnahme als Änderung im Sinn des § 16 Abs 2 WEG werteten, steht zu Recht nicht in Frage.

2.2 Gemäß § 16 Abs 2 Z 1 WEG darf jegliche Änderung weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer, besonders auch keine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses und keine Gefahr für die Sicherheit von Personen des Hauses oder von anderen Sachen zur Folge haben. Zusätzlich verlangt § 16 Abs 2 Z 2 WEG für den Fall, dass für eine Änderung auch allgemeine Teile der Liegenschaft in Anspruch genommen werden, sie entweder der Übung des Verkehrs entspricht oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen muss. Eine Abwägung der Interessen des die Änderung beabsichtigenden Wohnungseigentümers gegen die Interessen der übrigen Wohnungseigentümer an der Unterlassung der Änderung ist dabei nicht vorzunehmen (RS0083188).

2.3 Für das Vorliegen eines wichtigen Interesses des Wohnungseigentümers an einer Änderung seines Objekts kommt es besonders darauf an, ob die beabsichtigte Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (RS0083341 [T18] = RS0083345 [T16]). Diesen Grundsätzen entsprechen die Wertungen der Vorinstanzen, wenn sie das wichtige Interesse der Antragsteller – zusammengefasst – deshalb bejahten, weil es der Zweitantragstellerin, die wegen ihrer körperlichen Beeinträchtigungen keine Stufen steigen kann, nicht selbständig möglich ist, das Haus zu verlassen und sie sonst gezwungen wäre, ihre Wohnung aufzugeben. Dass es der Zweitantragstellerin möglich ist, Wohnung und Haus unter Zuhilfenahme eines Krankentransports zu verlassen, mag zutreffen, kann aber eine Fehlbeurteilung dieser Frage schon deshalb nicht aufzeigen, weil eine solche, ausschließlich aus gesundheitlichen Gründen durchgeführte Hilfeleistung eines Rettungsdiensts keine adäquate Erreichbarkeit und damit auch keine adäquate Nutzungsmöglichkeit des Wohnungseigentumsobjekts begründen kann.

2.4 Grundsätzlich zutreffend weisen die Antragsgegner darauf hin, dass die Zulässigkeit der Änderung nach baurechtlichen Vorschriftenfür sich allein keine Duldungspflicht der anderen Wohnungseigentümer begründet, weil die Genehmigung der Baubehörde zu den selbstverständlichen Erfolgsvoraussetzungen eines Änderungsvorhabens gehört (RS0082982; vgl auch RS0083364). Zu Unrecht werfen sie dem Rekursgericht aber vor, dieses habe die Prüfung ihres schutzwürdigen Interesses auf die Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften reduziert und damit seinen Ermessensspielraum überschritten. Lediglich in Erwiderung ihrer auch noch im Revisionsrekursverfahren vorgetragenen Bedenken, etwa zur Eignung der Treppe als Fluchtweg, hat das Rekursgericht dargelegt, dass bei dem von den Antragstellern geplanten Lift die Treppenlaufbreite auf kein in sicherheitstechnischer Hinsicht unzulässiges Maß (dazu Pkt 2.4.4. ÖIB-RL 4) eingeengt wird, und die Nutzungssicherheit in jedem Fall gewährleistet ist. Es mag zutreffen, dass in Einzelfällen der Transport größerer Lasten oder sperriger Güter wegen der durch den Einbau der Transportschiene für den Lift bedingten Einengung des Treppenbereichs um 18 cm in einer Höhe von 45 cm gegenüber dem Ist-Zustand erschwert sein mag, inwieweit dadurch aber schutzwürdige Interessen der Antragsgegner betroffen wären und damit eine im Einzelfall aufzugreifende Überschreitung des den Vorinstanzen eingeräumten Ermessensspielraum verbunden wäre (dazu RS0109643 [T11]; RS0083309 [T9]), erschließt sich dem Senat aus den dazu vorgetragenen Argumenten jedoch nicht, zumal auch die Antragsgegner erkennbar davon ausgehen, dass die Nutzungsmöglichkeit der Treppe auch zu solchen Zwecken grundsätzlich erhalten bleibt.

3. Die Sachentscheidung in einem Verfahren gemäß § 16 Abs 2 iVm § 52 Abs 1 Z 2 WEG lautet zwingend für und gegen alle (dem Verfahren auch beigezogene) Wohnungseigentümer gleich (RS0130836), sodass auch die Argumentation der Antragsgegner, sie könnten nicht zur Zustimmung zu einer Maßnahme verhalten werden, deren „Genehmigung durch die Eigentümermehrheit“ nicht erwiesen sei, nicht nachvollzogen werden kann.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG iVm § 52 Abs 2 WEG).

Stichworte